Geometrische Bildanalyse

Im Gegensatz zur umfassenden Herangehensweise einer holistischen Bildanalyse - wie man sie vielleicht noch aus dem Kunstunterricht erinnert - beschränke ich mich hier bei meinem kleinen Hobby auf die inhärente Geometrie eines Bildes, die Bildkomposition, die sich z.B. aus Form, Farbe, Licht und Kontrast ergibt und in der gegenständlichen klassischen Malerei meist den primär dargestellten Bildinhalt auf einer eher symbolischen Ebene unterstreichen oder ergänzen soll. Ich interessiere mich dabei aber weniger für das Auftauchen von einfachen Objekten wie Bildlinien (z.B. gegenläufige Schrägen zur Unterstreichung von Unruhe und Konflikt), Dreieckskompositionen (z.B. heilige Dreifaltigkeit) und Kreisanordnungen (Harmonie und Einheit etc.) - Geometrien also, die zwar u.U. deutlich zu erkennen sind, aber meist eine gewisse Ungenauigkeit aufweisen, da die Form hier der Ästhetik untergeordnet ist. Eher interessant sind für mich versteckte geometrische Auffälligkeiten, die u.U. nur auf den zweiten Blick zu erkennen sind, die aber einen hohen Grad an Komplexität und Genauigkeit aufweisen. Derartige Geometrien unterstreichen zwar möglicherweise auch den an der Oberfläche dargestellten Inhalt, z.T. scheint aber die geometrische Form auch einen gewissen Selbstzweck innerhalb der Kunst einzunehmen. So kann das oberflächlich dargebotene manchmal auch der zugrundeliegenden Geometrie untergeordnet sein. Die versteckte Geometrie selbst ist dann also schon die eigentliche inhaltliche oder ästhetische Aussage und diese zu finden, eine u.U. langwierige, aber immer wieder spannende Angelegenheit.

 

Codex Vindobonensis 2554

 

Die Bible Moralisée gilt als eine der schönsten und wertvollsten Handschriften des Mittelalters. Über die Entstehung und den Erstbesitzer ist nicht viel bekannt. Man kann aber vermuten, dass aufgrund des Wertes, das Buch wohl für einen König oder zumindest einen hohen Adligen hergestellt wurde. Das Buch enthält das alte Testament, das in Form von kleinen Miniaturensätzen (8 Miniaturen pro Seite) erklärt wird, wobei Bibeltext und jeweils zugehörige Bibelauslegung bzw. moralische Interpretation sich abwechseln. Die Miniaturen (insgesamt über 1000) werden dabei eingeleitet vom Titelbild auf der ersten Seite, der einzigen Miniatur, die für sich steht und eine ganze Seite füllt. Das Bild zeigt Gott als Architekten, der das Universum - Himmel, Erde, Sonne, Mond und alle Elemente - mit einem Zirkelschlag messend formt. Das Bild zeigt bereits auf dieser eher oberflächlichen Betrachtungsebene explizit das Interesse des Illustrators an Proportion und Geometrie. Unterzieht man das Bild jedoch einer eingehenderen Betrachtung, so stellt man schnell fest, dass Geometrie und Proportion hier auch in der Bildkomposition selbst mannigfaltig aufscheinen und diese bedingen. Die wesentlichsten geometrischen Grundlagen habe ich im nachfolgend aufgeführten PDF-Dokument zusammengefasst. Das Bildzitat bezieht sich durchgängig auf die Faksimile-Ausgabe von Haussherr, Reiner (Hg.) (1999): Bible moralisée. Codex Vindobonensis 2554 der Österreichischen Nationalbibliothek. 3. Aufl. Graz: Akad. Dr.- u. Verl.-Anst. (Glanzlichter der Buchkunst, 2).

Geometrische Bildanalyse Bible Moralisée